Überraschend Gescheitert

4-6 mins (1152 Wörter)

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Es gibt so bestimmte Geschichten, die mich immer wieder besonders anziehen. Eine davon ist diejenige die erklärt – um es maximal dramatisch zu sagen – wie genau die Menschheit gescheitert ist. Ja wirklich, es geht um Adam und Eva (deren Namen zu diesem Zeitpunkt der Geschichte ja eigentlich noch betont Mensch und Leben sind). Vermutlich bin ich von dieser Begebenheit genau deswegen so angezogen, weil sie unbestreitbarer Spitzenreiter im Genre weltverändernd ist – denn selbst die Auferstehung erhält die Tiefe ihrer Bedeutung nur durch die drastische Konsequenz dieses unsäglichen Scheiterns.

Ein Fehltritt zu weit

An sich ist es eine einfache Sache: Der schöpfende Gott schafft den Menschen als Repräsentant seiner selbst. Im blühenden Himmel auf Erden, Eden heißt dieser Garten der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, ist der lokale Vertreter von Göttlichkeit beauftragt mit schöpfender Tätigkeit. Nicht als Lohnarbeiter, sondern als Eigentümer, arbeiten Adam und Eva an der Erhaltung dieses Gartens. So ist es kaum verwunderlich, dass jede Frucht frei zur Verfügung steht – nur eine ist ihnen unerklärlich vorenthalten.

Es kommt wie es kommen muss, so sagt man es nun jedenfalls, und die Verlockung des Verbotenen führt recht schnell zum Scheitern der Thronenden. Das leere Versprechen fällt direkt auseinander und zurück bleibt zerbrochenes Vertrauen, rissige Ehe und der gravierende Rückzug von Gottes Nähe.

Doch musste es wirklich so kommen? Lange hat mich immer wieder die Frage beschäftigt, warum diese eine Tat so schlimme Folgen hat. Ist das ein guter, gnädiger Gott? Warum war es so leicht, die Grenze zu überschreiten? Ich habe sicher nicht alle Antworten, aber zwei kurze Gedanken: Erstens, Liebe zu Gott ist ohne die Möglichkeit einer anderen Entscheidung weitgehend nichtig; Zweitens, spricht doch gerade die drastische Konsequenz der einen Tat für die riesige Berufung der Bevollmächtigten. (Mehr zu diesen Fragen im Blog zu Gnade.)

Gescheitert trotz bester Voraussetzungen

Es klingt eine neue Frage in meinem Kopf: Mensch, wie konnte das passieren? Unabhängig von Gottes Rolle im Desaster frage ich mich doch, ob es wirklich nur eine Frage der Zeit ist, bis die Stimme der Versuchung die Vernunft übersteigt, so als wäre es eine logische Notwendigkeit.

König David, plötzlich wachgerüttelt von seinem lebensentscheidenden Scheitern, schaut auf die Scherben seiner Moral und bekennt ganz klar und offen: in Schuld bin ich geborenPs 51:7. So wie viele vor und nach ihm, bekennt er sein eigenes Versagen und verweist doch ganz klar auf den entscheidenden Start-Nachteil als Bewohner einer zerbrochenen WeltRöm 3:23; Jer 17:9. Es ist gerade in mitten dieser hoffnungslosen Realität, dass die Botschaft der Gnade um unsere Antwort fleht (mehr).

Nur Adam und Eva, sie können nicht darauf zurück zeigen. Später heißt es, durch ihre eine Schuld sei die Sünde in die Welt gekommenRöm 5:12 – und sie konnten auf keinen vererbten Fehlgriff verweisen.

Dabei hatten die beiden einen entscheidenden Vorteil: Sie kannten Gott, ohne Filter, ohne Verzerrung, ohne prägenden Schmerz und ohne Scham. Während wir glauben können – und so oft glauben müssen –, dass Gott gut ist, kannten sie ihn nur als gut. Die bedingungslose Liebe eines guten Vaters, die wir so oft nur in mitten eigener Unzulänglichkeit wahrnehmen, kannten sie grenzenlos trotz ihrer Schuldlosigkeit.

Gefallen an Scham

Gefallen an Scham, das ist meine These. In ihrer ersten Begegnung mit dem Allmächtigen nach dem offensichtlichen Verstoß gegen dessen Gebot, kommen die Menschen auf eine ganz neue Idee: Sie verstecken sich. Es klingt so absurd, und mit der suchenden Frage des Allwissenden scheint die Unterhaltung zur heiligen Komödie zu verfallen. Getrübt durch die neue Perspektive entzieht sich Adam direkt aus Gottes Nähe und Liebe. Mit der Sünde kommt auch die Scham in die Welt.

Wo zuvor selbstverständliche Gemeinschaft war, wird ein neues Gottesbild offenbar. Ich glaube, es war die gleiche Stimme der Versuchung, die den beiden direkt nach ihrem Scheitern als nächstes sagte, dass sie nun Gottes Güte verspielt haben. Und während dieser (noch immer gute) Vater direkt im Anschluss seinen ewigen Rettungsplan der Liebe in Gang setzt, tragen Adam und Eva die Konsequenz ihres Versagens.

Sicher, diese Sünde hat – so wie jeder Vertrauensbruch – unausweichliche Konsequenzen. Und doch frage ich mich, ob es nicht die Scham war, die die Menschen letztlich ganz aus der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott verbannte. Ganz klar: Freiheit von Scham macht nicht frei, denn sie allein spricht niemanden gerecht, aber vielleicht ist es die Scham, die sich schon damals in den Weg großzügiger Gnade stellte.

Ich frage mich, was wohl gewesen wäre, wenn Adam zu seinem guten Vater gelaufen wäre und für seinen Fehler Verantwortung übernommen hätte. Statt Verantwortung zu übernehmen, schieben sie beide die Schuld auf andere, und verlieren vielleicht genau so ihre Verantwortung über die Erde. Und statt die Gemeinschaft zu wählen, rennen sie aus der Gegenwart Gottes hinaus und geben in einem Moment der Scham genau das auf, was spätere Generationen mit der Hingabe ihres Lebens suchen.

Was wäre gewesen, wenn die beiden über die Versuchung von Scham hinweg mit Gott gemeinsam ihren Fehler in Ordnung gebracht hätten? In dieser Frage finde ich auch mich selbst, der zwar irgendwie Neue Schöpfung heißt, und trotzdem in Momenten von großem und kleinem Scheitern nicht immer auf direkten Weg zurück in Gemeinschaft geht.

Zerbrochene Beziehung

Und doch noch mal zurück zur ursprünglichen Frage: Wie konnte das trotz bester Voraussetzungen passieren? Im Kopf vieler Leser ist der Ablauf genau so, dass zuerst die Frau von der Schlange überlistet wurde, und daraufhin den Mann in die Sünde mit hinein gezogen hat. Doch bei genauerer Betrachtung dieses einen Verses steht da eigentlich klar, dass der Mann “mir ihr war”Gen 3:6.

Adam bleibt stummer Zuhörer – und als seine Frau ihm die verhängnisvolle Frucht weiterreicht, hat er schon vorm ersten Bissen seine eigene Verantwortung aufgegeben. Was wäre gewesen, hätte Adam kurz das listige Gespräch unterbrochen: Eva, das ist nichts für dich, bitte lass die Finger davon. Und was hätte geschehen können, hätte Eva später im Gebüsch das beschämte Schweigen gebrochen: Adam, was soll eigentlich dieses sinnlose Verstecken, bitte lass uns zum Vater gehen.

Mitten im Zerbruch ihrer Beziehung zu Gott ist die Beziehung der beiden schon gerissen. Es ist kein Zufall, dass im Moment dieses größten Scheiterns die beiden zur Einheit bestimmten nicht mehr einander zur Wahrheit zurück rufen.

Die Lüge selbst – dann werdet ihr sein wie Gott – ist doch ein Witz für die beiden im Ebenbild geschaffenen. Kurzum, es war ihr erstes Scheitern, einander nicht mehr an diese Wahrheit zu erinnern.

Und wie könnten nun unsere Neuen Leben aussehen, wenn wir einander an die Wahrheit erinnern statt stillschweigend einander beim Scheitern zuzusehen? Wie wäre es, wenn wir nicht mehr mit schulterzuckender Beliebigkeit die Stimme, die uns von Gott und Menschen entzweit, sprechen lassen? Was würde passieren, wenn wir uns kein Beispiel an Adam und Eva nehmen, sondern mutig und ohne zu vertuschen aus den Gebüschen hervor gehen?


Bibelreferenzen

  • Genesis 3:6
  • Psalmen 51:7
  • Jeremia 17:9
  • Römer 3:23; 5:12