Freundschaft

8-11 mins (2019 Wörter)

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Ich habe diesen Text im am Ende meiner Zeit bei der BSSM auf Englisch geschrieben, weil er vor allem an meine internationalen Freunde gerichtet war. Jetzt habe ich ihn endlich übersetzt!

Kürzlich hat mir jemand gesagt, dass eine meiner definierensten Eigenschaften Freundschaft ist. Natürlich steckt hinter der Aussage noch viel mehr, aber wenn mir das jemand vor 8 Jahren gesagt hätte, dann hätte ich nur gelacht. Thomas hat keine Freunde wurde mir zu oft gesagt. Damals hat diese Aussage auch nicht absolut gestimmt, aber ich habe sicher auch nicht daran gearbeitet, ein guter Freund zu sein – im Gegenteil, ich hatte mir viel Mühe gegeben zu beweisen, dass mein Mangel an Freunden eine überlegene Eigenschaft ist.

Auf der Reise

Langsam hat es sich angefangen zu ändern. An einem Tag saß ich dann auf einem kalten Bahnsteig im Dunkeln und hab das Essen gegessen, was ich eigentlich mit einem Freund teilen wollte. Als sich seine Pläne kurzfristig geändert haben, hatte ich schon beschlossen, dass ich nicht wichtig genug sein muss, und dass diese Freundschaft für ihn offensichtlich nicht bequem genug wäre. Ich erinnere mich genau wie ich ihn am nächsten Tag verwirrt angeschaut habe, als er mir zur Entschuldigung einen lustigen Geschenkbeutel gegeben hat. Und ungefähr zwei Wochen lang habe ich täglich diesen einfachen Beutel angeschaut und langsam verstanden, dass ich jemandem wichtig bin. Das ich vielen wichtig bin. Endlich wurde mir klar, wie wichtig es mir ist.

Diese Reise hat eine lange Zeit gebraucht, bis sie plötzlich beschleunigt wurde, als ich mich zum unlogischsten Schritt entschied: Zieh von all deinen Freunden und Familie ein Jahr lang weg (und aus dem Jahr wurden zwei).

Freunde in aller Welt

Weißt du, ich will keine neuen Freunde, ich will Freunde, die bleiben. Freunde buchstäblich in aller Welt zu haben scheint die dümmste Idee zu sein, wenn ich genau weiß, wie schnell Freunde aus dem Leben verblassen können, nachdem sie nur eine Stadt weitergezogen sind.

Doch jetzt waren wir hier alle an diesem merkwürdig internationalen Ort, und entschieden uns zum schwer zu übersetzenden Leitsatz go deep and go deep quickly (geh tief und geh schnell tief) – aus Gründen, die wir noch nicht ganz verstehen konnten.

Am Ende dieses ersten Jahres hat mich ein Zitat definiert: Es ist gut, dass es weh tut Tschüss zu sagen, weil das bedeutet, dass wir uns erlaubt haben tief zu lieben. Ich wurde mir schmerzlich der Realität bewusst, dass sich Dinge, und noch wichtiger Menschen, ändern, wenn wir diesen außergewöhnlichen Ort verlassen.

Als nächstes erinnere ich mich daran, nach ein paar Monaten Sommer zurück zu kommen. Nach der anfänglichen Begeisterung alle wieder zu sehen – und alle bedeutet eigentlich auch nur alle die mir wichtig sind – erinnere ich mich, wie ich auf meinem Bett lag und mich fragte ob ich das alles nochmal machen kann. Ob ich wieder tief und intim in Freundschaften hineingehen könnte im Wissen, dass ich mit vielen davon nicht mal auf dem gleichen Kontinent leben würde, nachdem wir diesen Ort verlassen. Zu viele Journal-Einträge und lange Chat-Verläufe bleiben als Beweis für etwas, das interne Krise genannt werden kann.

Bis dahin hatte ich gedacht, mit den bestehenden Freunden zusammen zu bleiben ist das bequemere Leben, die einfachere Wahl. Die Wahrheit ist: Freundschaft ist niemals bequem. Und während Bequemlichkeit eine gute Erklärung dafür ist, warum die meisten meiner Freundschaften angefangen haben, ist wahre Freundschaft nicht von dieser Natur. Die gleichen Freunde zu wählen wurde kostspielig, weil wir genau wussten, wie viel wir uns versprochen hatten im Sommer Kontakt zu halten, und wie viel wir am Ende wirklich in Kontakt waren.

Schließlich, nach wochenlangen internen Kämpfen, hab ich Ja gesagt: zu Freunden von denen ich wusste, dass ich sie wieder verlassen würde, zu Freundschaften die ich lieber ganz bequem als "ungesund" diagnostiziert hatte, zu Freunden die für mich längst diese anfängliche Begeisterung verloren hatten, mit der neue Dinge meistens glänzen. Ich hab Ja gesagt zu Freunden, die mich auf tiefe und unbequeme Weise kennen.

Aber das ist nicht nur für die wenigen bei denen ich mich entscheiden konnte sie zu behalten, es ist auch für jede neue Freundschaft. Wie mit vielen Dingen im Leben, kann man den Preis, den Freundschaft mit sich bringt, nicht vergessen, nachdem man ihn selbst gefühlt hat. Und so ist jeder neue Freund und jede tiefe Verbindung eine kostspielige Sache, und doch ist es diese Wahl, die es wertvoll macht.

Was für Jahr hatten wir!

Jetzt sind wir, wieder einmal, bei den Verabschiedungen. Dieses mal gehe ich, ohne wiederzukommen. Und obwohl ich weiß, dass ich diese Freunde bei Hochzeiten und vielleicht ein paar anderen Gelegenheiten wiedersehe, wird es anders sein. Um ehrlich zu sein, spüre ich es oft gar nicht – ein gewisses Maß an Leugnung versucht den Schmerz zu lindern. Und dann habe ich plötzlich den ganzen Tag feuchte Augen, während ich mein weniges Hab und Gut in Koffer packe. Verabschiedungen sind schwer. Trotzdem bin ich stolz, dass ich nicht versucht habe, sie zu vermeiden.

Überlegene Liebe

Im letzten Sommer habe ich The Four Loves (Vier Arten der Liebe) von CS Lewis gelesen. Das Konzept ist so einfach wie hilfreich: Das deutsche Wort Liebe hat viele Bedeutungsebenen, im Griechischen (und auch in anderen Sprachen) gibt es aber mehrere Wörter, die unterschiedliche Arten der Liebe ausdrücken. Daher die 4 Lieben:

Erstens, Storge, die mütterliche Liebe, die die fürsorgliche und liebevolle Aufmerksamkeit einer Mutter zu ihrem Nachwuchs bestimmt. Es ist die Art von Liebe, die nötig ist, damit Kinder sich normal entwickeln, und wir kennen alle die Krankheiten, die der Mangel solcher Liebe mit sich bringt.

Zweitens, Eros, die romantische Liebe die hinter jeder Liebesgeschichte steht. Es ist die Liebe, die alle überstürzten Gefühle hervorbringt und die zum "Umwerben" eines anderen führt, dem nichts gleichkommt. Ohne Eros würde der natürliche Antrieb zur Vermehrung fehlen.

Drittens, Agape, die höchste Liebe. Diese Liebe kann eigentlich nur von Gott gegeben werden, denn es ist Liebe ohne Bedingungen, ohne Grenzen und Liebe, die nicht enttäuscht werden kann. Es ist die Liebe, die kaum beschrieben werden kann, und dennoch perfekt damit zusammengefasst ist, dass ein Mann gestorben ist, damit wir leben können. Als Nachfolger dieses Mannes dürfen wir diese Liebe reflektieren, die unser Gott verkörpert.

Viertens, Fileo, die Liebe der Freundschaft. Und diese Liebe hat mich erwischt. Es ist die Liebe zwischen zwei Freunden. Freunden, die weder mit Bekannten noch Kameraden zu verwechseln sind. Diese Liebe definiert Freundschaften, denn diese haben (in ihrer echtesten Form) weder Nutzen noch Gewinn, weder Vorteil noch Geschäft.

Freundschaften sind eine interessante Sache, schließlich braucht man sie nicht, sie sind nicht notwendig für ein erfolgreiches oder selbst ein erfülltes Leben. Wenn sie wirklich nicht aus Nutzen oder Handel motiviert sind, haben Freundschaften keinen Wert – deswegen haben viele keine Freunde, und die meisten derer, die sie so nennen, sind eigentlich nur Bekannte die ihre Bedeutsamkeit erhöhen oder dazu dienen, irgendein anderes Bedürfnis erfüllen. Aber darum geht es bei Freundschaft nicht. Freundschaft ist, wie CS Lewis sagt, unnötig. Sie hat keinen Überlebenswert; vielmehr ist sie eine dieser Dinge, die dem Überleben Wert geben.

Ist das nicht bemerkenswert? Freunde sind nicht dazu gut, das Leben gemeinsam zu erledigen (auch wenn sie das sicherlich tun werden), sondern dazu das Leben gemeinsam zu genießen. Menschen können nicht ohne die mütterliche Storge Liebe überleben, genauso können sie keine Familie ohne die romantische Eros Liebe schaffen. Wir Christen glauben dann weiterhin, dass wir Menschen erst dann wirklich lebendig werden, wenn wir mit der Agape Liebe in Kontakt kommen, die Gott verkörpert, definiert und auf uns ausgießt – sodass wir sie an die um uns herum weitergeben. Aber Fileo? Fileo ist komplett optional, nicht notwendig für gesundes menschliches Leben.

Wert durch Wahl

Ich glaube, dass die Wahl Dingen Wert verleiht. Zu etwas Ja zu sagen ist nur dann wirklich relevant, wenn damit dann auch Nein zu anderen Dingen gesagt wird. Eine Wahl bringt es mit sich, dass es andere Optionen (andere mögliche Entscheidungen) gibt.

Um mein Argument schnell zu erklären, will ich kurz daran erinnern, dass im Garten von Eden die Liebe von Adam zu Gott wenig bis gar keine Bedeutung gehabt hätte, wenn er nicht die Wahl gehabt hätte, jemanden oder etwas anderes zu lieben. Mein Gott wollte keine Armee von Dienern, als er die Menschheit in seinem Ebenbild erschaffen hat. Er konnte nur von ihnen bedeutungsvoll geliebt werden, wenn Er ihnen die Wahl gab sich von Ihm zu trennen – mit der vollen Konsequenz, die eine solche Entscheidung mit sich bringen würde, und ohne dabei irgendwelche Kindersicherungen anzubringen, abgesehen von seinem leitendem Wort, dem Glauben geschenkt werden musste. Adam hatte seinen großen und tragischen Moment der Wahl.

Wahl ist, was Dingen Wert gibt, sei es in unserer Liebe zu Gott oder in den alltäglichsten Dingen – ohne Wahl ist Absicht beliebig und die Haltung des Herzens ist irrelevant.

Was ist dann die kraftvollste Wahl? Etwas zu wählen, das keinen Wert hat, etwas, dass komplett unnötig war und doch absolut unbezahlbar wird, weil du dich entschieden hast, es zu wählen. Und je mehr du diese optionale Sache weiter wählt (darin investiert), desto mehr Wert erhält sie. So ist es mit Freundschaft. Weil sie keinen eigenen Wert besitzt, macht ihre Wahl sie unbezahlbar.

Wahre Freundschaft ist niemals bequem, weil sie Wahl erfordert. Viele Freundschaften haben mit Zufällen begonnen, aber keine bedeutungsvolle Beziehung bleibt ohne die intentionale Pflege bestehen, die von dieser völlig optionalen Fileo Liebe inspiriert ist. Und wenn diese Liebe nicht notwendig ist, um Leben zu erhalten, wird sie zur überlegenen Liebe, denn die größte Liebe kann nur dort existieren, wo sie komplett selbstlos gegeben wird.

Angst vor Verlust

Die größte Angst in Freundschaft ist dann, sie zu verlieren. Wenn sie nur dem Vergnügen dient und auf andauernde Wahl gebaut ist, kann dieses freudige Vergnügen und die ganze Geschichte, die damit geschaffen wurde, in einem Moment verloren gehen. Freundschaft ohne Funktion oder Nutzen ist zerbrechlich, denn sie erzeugt keine Abhängigkeit, kein untrennbares Bedürfnis oder besondere moralische Verantwortlichkeit füreinander.

So wirklich müssen sich nur diejenigen dieser Angst stellen, die sich dem Preis bewusst sind. Diejenigen, die tiefe Verbindung wählen, im vollen Bewusstsein, das Ergebnis ihrer Liebe nicht behalten zu dürfen. Wenn die Bequemlichkeit naher Wohnorte, gemeinsamer Arbeitsplätze oder gemeinsamer Aktivitäten wegfällt, wird Wahl teurer. Diejenigen, die eine solche Veränderungen kommen sehen, müssen der Angst vor Verlust ins Auge schauen, lange bevor sie die so geschätzte Freundschaft verlieren würden.

Es ist eine Sache, allen Spaß und Freude einer Freundschaft zu erleben und dann plötzlich am endgültigen und schmerzhaften Abschied anzukommen – man sieht wirklich erst was man hatte, wenn man es loslassen muss. Für mich aber ist es eine viel wertvollere Entscheidung, am Anfang schon genau zu wissen, wie viel es am Ende kosten würde. Es ist eine edlere Sache, für etwas zu zahlen, dass dich komplett Bankrott macht, wenn du jeden Cent der Rechnung kennst, bevor du diese teure Rechnung am Ende bekommst. Und genau deswegen reflektiert Fileo die Liebe von Christus, die Liebe von einem, der die Kosten genau überschlagen und dann freudig bezahlt hat. Derjenige, der genau wusste welchen Verrat und Schmerz es kosten würde, und der entschied, dass es würdig war, den Himmel mit einem einzigen Verwendungszweck Bankrott zu erklären: Liebe. In Freundschaft können wir ein Teil Seines Wesens reflektieren, der Liebe die Er komplett freizügig gibt, ohne Kleingedrucktes. So hat Er reine Liebe definiert, und genau deswegen ist es das alles wert.

So bin ich also hier. Es ist ein Privileg, die Dinge zurückzugeben, die Gott mir großzügig gegeben hat. Aber, es ist schmerzhaft. Es tut weh, weil wir geliebt haben, und weil wir es immer und immer wieder so wählen. Ich muss mich daran erinnern, dass alle Dinge am sichersten sind, wenn sie Ihm voll anvertraut sind. Die Wahl, eine Freundschaft zu Ihm zurückzugeben, ist so kraftvoll wie jede Entscheidung, das anzunehmen, was Er mir zuvor gegeben hat – der wahre Gegensatz von Wahl ist nicht ein Nein, sondern ein langsames Verblassen, ein überhebliches Ja, ein leeres Versprechen.

Am Ende erinnere ich mich an dem Moment vor ein paar Wochen, als ich auf meinem Bett saß, weinend in mitten all dieser Gedanken über das wahre Wesen von Freundschaft – über die Liebe, die am wertvollsten wird, weil sie im Leben am unnützlichsten ist. Schließlich hab ich dieses schmerzende Gebet beendet und sagte zu Gott das es nur so weh tut, weil Du mir etwas so Kostbares gegeben hast. Und das könnte ich niemals bereuen.